M. Melone: Zwischen Bilderlast und Bilderschatz

Cover
Titel
Zwischen Bilderlast und Bilderschatz. Pressefotografie und Bildarchive im Zeitalter der Digitalisierung


Autor(en)
Melone, Mirco
Reihe
eikones
Erschienen
Paderborn 2018: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
291 S., 55 Abb.
Preis
€ 69,00
URL
von
Jens Jäger

Die Digitalisierung von Bildern wird zumeist hinsichtlich der Konsequenzen für deren Status als Quellen im herkömmlichen Sinne diskutiert. Im Zentrum stehen dabei Überlegungen zur «Authentizität» der Bilder, ihrer vermeintlich zunehmende Manipulierbarkeit sowie die Bedeutung ihrer wachsenden Zugänglichkeit. Weit weniger richtet sich der Blick auf die Institutionen, die Digitalisierung vorantrieben, und die damit einhergehende fundamentale Umorganisation von Beständen.

Mirco Melone untersucht in seiner Pionierstudie genau das anhand der Bildbestände des Schweizer Ringier-Verlages. In zwei Abschnitten entfaltet Melone sein Thema. Zunächst schildert er die Entwicklung der Ringier-Bildbestände und ihrer Organisation seit den 1960er Jahren, anschliessend betrachtet er die sich ändernden Kontextualisierungen. Geleitet ist die Untersuchungen durch medientheoretische und -historische sowie praxeologische Einsichten. Das bedingt einen Fokus auf die Institution und den Umgang mit den Beständen durch die hierzu angestellten Experten und Expertinnen, wohingegen die Fragen nach den Spezifika der Bildquellen und deren Entstehungsbedingungen weniger gewichtet sind. Die Studie stützt sich auf Archivalien, die der Autor selbst gesammelt hat sowie – neben anderen kleineren Beständen – die Materialien des Staatsarchivs Aargau, welches das Bildarchiv 2009 übernahm.

Seine These, dass letztlich die Digitalisierung der Fotobestände des Verlages der Umwertung von Pressefotografie in eine kulturhistorische Quellengattung Vorschub geleistet (wenn nicht gar erzeugt) hat, besitzt Gewicht. Denn anders als Bildbestände, die sich in Archiven ansammelten und dann über Datenbanken zu einem gleichsam eigenständigen Quellenkorpus wandelten, sind Verlagsbestände in erster Linie Waren, deren Wert sich aus der Verkäuflichkeit ableitet.

Kommerzielle Bildagenturen stehen vor dem Problem, die naturgemäss stetig wachsenden Bestände zu ordnen, zu lagern und zu verwerten. Nur wenn das gelingt, lohnt aus unternehmerischer Sicht der Erhalt von Bildern. Die Datenverarbeitung ab den 1970er Jahren bot die Chance, Suche und Zugriff nach einzelnen Bildern und Bildfolgen zu optimieren. Doch auch dies stiess alsbald auf Grenzen, die erst durch Digitalisierung der Bilder selbst – und damit einen direkten Zugriff der Nutzer und Nutzerinnen auf Bilder am Bildschirm – überwunden wurden. Was aber sollte mit den analogen Fotografien (Abzügen, Dias, Negativen usw.) geschehen, deren Aktualität abgenommen hatte und deren sachgerechte Lagerung Ressourcen verschlang? Wichtig waren in diesem Zusammenhang die wachsende Bedeutung der so genannten «Stock Photography», also von illustrativen Bildern ohne zwangsweise aktuellen Charakter, die üblicherweise von Agenturen angeboten werden, sowie die Verschiebungen in kulturhistorischen Denk- und Arbeitsweisen. So selbstverständlich es scheint, ein Bildarchiv letztlich in öffentliche Hände zu legen, so wichtig ist es nachvollziehen zu können, warum es schliesslich als kulturhistorisch wertvoll betrachtet wurde. Melone kann zudem darlegen, dass ökonomische erwertungslogiken tief in die Wahrnehmung und den gegenwärtigen Umgang mit den Ringier-Bildern eingebettet sind.

Melone hat eine Fallanalyse vorgelegt, die mustergültig diese oftmals unterschätzen Zusammenhänge erhellt. Es lässt sich nur hoffen, dass weitere Fallstudien folgen werden, um die Thesen zu überprüfen und das Feld der «Bildökonomie» besser auszuleuchten.

Einige Punkte verdienen angesichts der Fokussierung der Arbeit auf den Zeitraum seit den 1970er Jahren erwähnt zu werden. Erstens wird nur vereinzelt auf frühere Praktiken der Bildwirtschaft verwiesen. Lässt sich wirklich erst für die 1960er Jahre sagen, dass sich der Umgang mit Pressebildern bei Ringier «professionalisiert» habe? Immerhin datiert Melone den Beginn kommerzieller Bildverwertung durch Agenturen in der Schweiz auf die 1930er Jahre (Illustrations- und Photopress AG), sodass die Frage nahe liegt, wie sich der Bildermarkt bis dahin organisiert hatte. Ringier selbst hatte bereits 1911 die Schweizer Illustrierte Zeitung lanciert (S. 26) und in den europäischen Pressezentren agierten schon grössere auch transnational tätige Fotoagenturen professionell. Je länger eine Bildagentur auf dem Markt ist, desto umfangreicher werden ihre «Stock»-Bestände und das ist kein Phänomen, das erst in den 1960er/70er Jahren auftrat. Mit anderen Worten: das Problem der Archivierung und Verwertung grosser Bildermengen war bereits lange vor Einzug der EDV und der Digitalisierung relevant. Zweitens ist es eine Überlegung wert, sich genauer über den Begriff «Pressebild» zu orientieren; in der Studie scheinen damit alle Bilder gemeint zu sein, die den Weg in eine Bildagentur fanden. Das ist pragmatisch, verschleiert aber die Vielzahl an Produktions- und Distributionsbedingungen der Fotografien. Nicht alle Ringier-Bilder sind exklusiv als Pressebilder entstanden und damit deren Verbreitung nicht allein auf ein Dasein in dieser Agentur beschränkt. Entsprechend hat diese nicht allein über die Kontextualisierung eines Bildes bestimmt. Und es gilt darüber nachzudenken, ob die Bilder tatsächlich derart durch Bildbeschriftungen, archivarische bzw. dokumentalistische Ein- und Zuordnung in ihrer, wenngleich zeitlich wechselnden, Bedeutung festgelegt werden, wie es manches Mal im Text nahe gelegt wird (besonders S. 149–153). Aus Sicht der bewahrenden Institution mag das so sein, aus Sicht der Nutzer stellt sich das anders dar. Auch Pressefotografie funktioniert nicht allein als visueller Ausdruck einer Beschriftung, sondern als Bild per se. Wenngleich dies jenseits der Fragestellung Melones angesiedelt ist, also hier auch nicht als Kritik am Buch zu verstehen ist, sind das weiter führende Fragen. Und diese aufzuwerfen, wengleich nicht ausdrücklich, ist ein weiteres Verdienst des Buches.

Zitierweise:
Jäger, Jens: Rezension zu: Melone, Mirco: Zwischen Bilderlast und Bilderschatz. Pressefotografie und Bildarchive im Zeitalter der Digitalisierung, Paderborn 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 566-568. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.